HSP – ich oute mich mal…

Ist diese Woche HSP-Woche? Irgendwie scheint sich momentan jeder dazu aufgerufen zu fühlen, darüber zu schreiben. An sich finde ich das ja nicht schlecht, schließlich kennt es nicht jeder, aber was ich da in letzter Zeit zu lesen bekam, ist teilweise wirklich unverschämt!

Was heißt HSP? 

HSP = High Sensitive Person = hochsensible Person = ICH

Ich weiß es noch nicht lange, aber seit ich es weiß, beschäftige ich mich sehr damit.

 

Hochsensibilität

…ist der Oberbegriff für dieses (neurologische) Phänomen. Ich möchte mich jetzt nicht medizinisch und fachspezifisch zu diesem Thema äußern, denn wir sind alle in der Lage eine gewisse Suchmaschine zu benutzen.  Einfach „Hochsensibilität“ oder „HSP“ eingeben und man findet ganz viele medizinisch korrekte Beiträge. Ich bin kein Arzt, ich bin eine Betroffene und so äußere ich mich auch zu dem Thema.

Im Grunde kann man sagen, dass hochsensible Menschen in der Lage sind, mehr wahrzunehmen und diese Wahrnehmungen unglaublich intensiv und sehr tief zu verarbeiten. Das ist sehr anstrengend und das Gehirn ist unter Dauerstress. Durch diesen permanenten Ausnahmezustand sind wir schneller Müde und brauchen mehr und längere Pausen. Das ist in unserer Leistungsgesellschaft eher suboptimal.

 

Alles hat seine Vor- und Nachteile…

Für mich liegen die Vorteile vor allem in der Interaktion mit meinen Mitmenschen. Ich kann super zuhören und „höre“ eben auch die unausgesprochenen Dinge. Ich fühle mich einfach in Menschen und Situationen ein. Hört sich für den Außenstehenden doof an, ist für mich aber normal. Häufig sehe ich auch Dinge/Situationen, die in der Zukunft liegen (teilweise echt spooky, wenn es dann eintritt) und man muss auch nicht versuchen, etwas vor mir geheim zu halten. Für mich ist jede Situation eine logische Konsequenz aus einer anderen Situation. Ein Lehrer von mir benutzte gerne den Begriff „Kausalkette“. Wir HSP-Leute denken eben sehr verquer, um tausend Ecken und äußerst komplex – da kann sich kein normaler Mensch rein denken.

Mein Mega-Nachteil sind die Schmerzen. Die meisten HSP-ler haben, bis auf das hohe Ruhebedürfnis und das Abgestempelt-Werden (wir sind ja alle nur Heulsusen und sollen uns mal nicht so anstellen), keine Nachteile.

Allerdings gibt es eben auch Ausnahmen und über die wird oft geschwiegen. Für einige von uns ist HSP keine Superkraft, sondern doch eine Krankheit; auch wenn das in den medizinischen Beiträgen immer verneint wird. Wenn mich jedoch etwas in meinem Körper im Alltag einschränkt und teilweise stark behindert, ja sogar Schmerzen verursachen kann, dann ist es für mich in dem Fall eine Krankheit.

 

Ich bin ein Ausnahmefall und muss damit leben!

Das hat mir allen Ernstes meine Ärztin beim letzten Gespräch an den Kopf geworfen. Sie ist Neurologin und Psychologin. Mit Psychologen habe ich ohnehin so meine Probleme (andere Geschichte)… Ich kann es verstehen, dass man als Arzt schon viel erlebt hat und ständig die selben Sachen durchkauen muss. Kein Problem, dass man da abstumpft ist verständlich und vollkommen in Ordnung. Für einen Patienten ist seine momentane Lage und das Gespräch mit einem Arzt aber nicht normal und gerade von einer Psychologin hätte ich mehr Einfühlungsvermögen erwartet.

Tja, nun stand ich da mit den Aussagen chronische Migräne mit Aura vom Basilaristyp, Hochsensibilität und Synästhesien. Da mach‘ mal was draus! 

 

Wieder eine Kausalkette

Mein größtes Pech ist nun, dass sich diese Sachen gegenseitig beeinflussen.

Migräne: Dass Migräne nicht einfach nur Kopfschmerzen sind, dürfte sich langsam mal rumgesprochen haben. Ich umarme gerne tagelang die Toilette, liege in dunklen Zimmern rum, habe Watte in den Ohren und würde meinen Kopf mit großem Vergnügen gegen die Wand donnern.

chronische Migräne: Bei der Definition streiten sich die Experten noch. Einige reden von einer bestimmten Anzahl an Anfällen in Jahren/ über Jahre hinweg, andere sind bei Anfällen pro Monat. Ist mir egal, ich habe ca. 1-4 Anfälle pro Monat und diese sind zwischen 2 und 6 Tage lang. Da kann sich nun jeder ausrechnen, wie ich meine Zeit verbringe.  Achja, Migräne habe ich schon seit 14 Jahren. (*Jetzt schauen alle nach, was ich als Geburtsjahr angegeben habe und rechnen*.) 

Aura: Im Grunde bedeutet „Aura“ so viel wie Wahrnehmungsstörung vor Eintritt des Migränekopfschmerzes. Ich sehe zum Beispiel bunte Kreise, irgendwann verschwimmt alles und zum Schluss habe ich einen Tunnelblick. Andere Aura-Symptome habe ich auch noch, aber das sprengt wohl den Rahmen.

Basilaristyp: Das ist die Form der Migräne; kommt nicht so häufig vor (war ja klar, dass ich sowas wieder haben muss… war ja schließlich kostenlos ).

Hochsensibilität: …kennen wir nun auch.

Synästhesien: Was ist das denn? Dazu gibt es eine Vorgeschichte, denn man selbst kann gar nicht von sich aus wissen/ selbst in Erfahrung bringen, dass man das hat. Ich wurde von meinem Marketing-Prof. und einem Gastdozenten darauf aufmerksam gemacht, dass in meiner Birne was nicht passt. Ich denke nämlich in Farben und Formen. Für mich ist das völlig natürlich und ich kann ja auch gar nicht anders denken, aber normal ist das eben nicht. Heraus kam das nur, weil ich in einigen Tests immer anders geantwortet habe, als meine lieben Mitstudenten. Hätte mein Prof. mein verqueres Denken nicht bemerkt, wäre ich auf jeden Fall durchgefallen und hätte nicht gewusst warum – für mich habe ich schließlich richtig geantwortet. Um Gewissheit zu bekommen haben die beiden dann noch ein paar spezielle Tests mit mir gemacht und sich wie kleine Kinder gefreut, dass sie richtig lagen. Die Ergebnisse wurden dann (soweit es möglich war) nochmal medizinisch bestätigt.

Wie äußert sich sowas? Natürlich sind meine Synästhesien nicht wirklich sichtbar/bemerkbar. Ein Außenstehender sieht vielleicht (manchmal) einen bunten Vogel in mir, oder ihm fällt auf, dass ich manche Dinge nach Farben und komplexen Mustern sortiere. Dafür braucht man aber wirklich ein aufmerksames Auge. Da ich das alles unbewusst mache, stehe ich in bewussten Momenten auch schon mal vor meinen „Kunstwerken“ und fasse mir an den Kopf.

Synästhesien sind bei mir ein lustiges Gimmick, welches allerdings das rationale, logische Denken beeinträchtigt – Mathe macht für mich also überhaupt keinen Sinn und was andere vollkommen logisch finden, ist für mich totaler Blödsinn.

 

Ein typischer „Schmerzfall“, bei dem HSP und Migräne zusammenspielen können, ist zum Beispiel unsere schrille Klingel. Es klingelt (ich höre ja alles lauter und hohe Töne sind ein sehr großes Problem für mich) und ich bekomme sowas wie einen Stromschlag, der vorwiegend von der rechten Schläfe durch das Auge geht. Das ist ein sehr unangenehmer, stechender Schmerz, der nicht selten zu einer Migräne führt. Also ist unsere Klingel abgeklebt, sodass sie nur noch leise klingelt. Allerdings hilft das nicht gegen Sturmklingler… gerade war es der Postbote.  So, jetzt war mir gerade schwarz vor Augen, aber weiter geht’s. Naja, ich könnte nun unzählige Beispiele bringen, aber ihr habt mich wahrscheinlich schon verstanden.

 

Worauf ich hinaus will

So, nun habe ich euch alles erklärt und falls ihr noch Fragen habt, dann schreibt mir bitte.

Es gibt viele Dinge, die mich an Berichten über HSP und Co. nerven. Meist sind die Berichte von Experten, die sich gar nicht in die Lage ihrer Patienten hineinversetzen können. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn bei jedem äußern sich die o.g. Krankheiten und Phänomene anders. Ein weiterer störender Punkt sind Schwarz-Weiß-Malereien. Hallo? HSP ist so vielschichtig, da kann man doch nicht von schwarz oder weiß, richtig oder falsch reden. Wir HSP-ler leben und denken in Graustufen; in jeder falschen Antwort liegt für uns auch eine richtige Tatsache.

Besonders nervend sind die Beiträge, die super positiv anfangen und in einem Heulkrampf enden. Kein Wunder, dass „ihr“ denken müsst, dass „wir“ voll die Mimosen sind. Sorry, aber ich sitze nicht den ganzen Tag lachend oder heulend in der Ecke. Leider wird sowas ständig vermittelt.

Auch stört mich das Gerede darüber, wie schwer doch der Alltag mit HSP ist und wie böse die Mitmenschen sind usw. Nur, dass niemand konkrete Beispiele bringt. Wie sieht denn dein Alltag aus? Wer war denn „böse“ zu dir und wie hat sich das geäußert? …

 

Bei mir sieht es so aus

Eigentlich ist es selbsterklärend, dass Pechvögel wie ich keinem nine-to-five-job nachgehen können; das wäre reine Selbstzerstörung (abgesehen davon würde uns kein klar denkender Mensch einstellen) und die meisten, auch ich, merken es erst/ bekommen die Diagnose, wenn sie sich gerade „zerstört“ haben. Daher schmeißen viele von uns „einfach nur“ den Haushalt (wenn ich mich übernommen habe, können einfache Tätigkeiten im Haushalt schon ein riesen Problem für mich werden) oder sind selbständig. Davon erfüllen leider sehr viele das Klischee und machen einen auf Feng Shui, Aromatherapie, Klangschalen-Kram und was weiß ich (sorry, ich respektiere euch und eure Tätigkeit, aber ich belächle das trotzdem).

Ich mache auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber ich will auch nicht bis in alle Ewigkeit nur bloggen – davon kann ich nicht leben. Für mich ist meine momentane Tätigkeit ein gutes Instrument für mein eigentliches Vorhaben – ich muss ja irgendwie irgendwo anfangen.

Ich starte meist um 8 Uhr oder 9 Uhr in den Tag. Das ist für viele unmöglich, weil sie da schon längst im Büro sitzen müssen. Früh aufstehen ist für diejenigen nicht schön, aber sie bekommen wenigstens keine Schmerzen davon. Ich musste über Wochen zu verschiedenen Zeiten aufstehen, um herauszufinden, wie viel Schlaf ich brauche und von wann bis wann ich schlafen muss, um keine Migräne zu bekommen. Das war eine sehr schmerzhafte Zeit. Nach der ärztlichen Auswertung weiß ich nun, dass ich 9 Stunden Schlaf brauche und von 23 Uhr bis 8 Uhr oder von 24 Uhr bis 9 Uhr schlafen sollte, um einen schmerzfreien Tag zu haben.

Nach dem Aufstehen brauche ich unbedingt Kaffee, denn wie jeder HSP-ler komme ich nur sehr schwer in die Gänge. Meine Weltuntergangsstimmung und extreme Reizbarkeit verschweige ich mal… wer mich morgens anspricht, der ist selber schuld.

Dann kann ich 4h lang arbeiten. Länger darf ich nicht vor dem Bildschirm sitzen (auch Ergebnis eines blöden Experiments). Also kommt dann erstmal der ganze Haushaltskram, Essen (Frühstück ist gar nicht mein Ding) und Yoga. Anschließend mache ich noch andere Arbeiten wie Produkte testen, fotografieren… Vielleicht kann ich dann nochmal kurz an den Rechner und dann ist der Tag auch schon vorbei. Zwischendurch brauche ich immer wieder Pausen und ab und an auch ein kleines Nickerchen; sonst schaltet sich mein Körper spontan selbst aus. Wegen der Migräne muss ich auch ständig trinken, was ziemlich unpraktisch werden kann.

Ein normaler Tag lässt sich also gut überleben, solange es auch ruhig und nicht zu warm ist. Lärm bringt mich sofort aus dem Konzept und ich könnte an die Decke gehen. Es nervt mich extrem und tut eben auch mal weh. Wärme erweitert die Blutgefäße und meine sind für meinen Kopf schon zu groß. Wenn sie sich also noch mehr weiten, bekomme ich Kopfschmerzen bis hin zur Migräne.

Richtige Probleme habe ich eigentlich nur beim Einkaufen und bei Familienfeiern. Auf solche Situationen muss ich mich auch ausreichend vorbereiten. Spontan ein Brot kaufen? Du spinnst wohl! Supermärkte sind mein absoluter Horror! Ich muss immer alles im Blick haben und flüchten können. In normalen Supermärkten sind mir die Regale viel zu hoch (ich bin ja nur 1,59m) und wirken sehr bedrohlich. Dann sind die Gänge für mich viel zu eng und teilweise durch irgendwelche Aufsteller blockiert. Aus Marketing-Sicht verstehe ich das natürlich, aber für mich ist die Situation eine Katastrophe. Wenn es dann noch laut wird oder mich jemand anrempelt, dann werde ich zur rasenden Wildsau. Ich bekomme Panik, werde sehr zickig und aggressiv und muss da einfach raus. Einen normalen Supermarkt überlebe ich nur mit Beruhigungsmitteln und tagelanger Vorbereitung. Gott sei Dank haben wir seit letztem Jahr einen Bio-Supermarkt. Da sind die Gänge schön breit, die Regale sind überschaubar, es laufen weder laute Musik, noch irgendwelche schrillen Durchsagen und die Leute bewegen sich dort auch ganz anders. Alles ist ruhig und gesittet; da gehe sogar ich gerne einkaufen.

Beim Shoppen habe ich übrigens gar keine Probleme. Da bin ich so fokussiert, dass mich nichts aus der Ruhe bringt. 

Familienfeiern sind nicht wegen der anwesenden Personen an sich ein Problem… naja…meistens.  Mein Problem sind zu viele Menschen in einem geschlossenen Raum, die durcheinander reden. Nach ein paar Minuten bin ich im Notfallmodus und schalte mich ab. Alles ist zu viel. Ich kann keinem Gespräch mehr folgen, sehe irgendwann verschwommen, Panik kommt auf und ich muss raus. Meine aktuelle Grenze liegt bei 6 Leuten. Da helfen auch nur Beruhigungsmittel, Stimmungsaufheller (alles pflanzlich, ich will neben den Migränemitteln keine weiteren „Killer“ nehmen) und die tagelange Vorbereitung mit gezielten Entspannungsübungen.

Alles in allem baue ich darauf, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft umziehen können. Mehr Platz, Natur und das wichtigste –> RUHE…  Vielleicht geht es mir dann endlich besser.

 

Nun seid ihr dran! Habe ich was vergessen zu schreiben? Habt ihr noch Fragen? Seid ihr auch betroffen? Wenn ja, wie sieht euer Alltag so aus? Habt ihr ein paar „Überlebens-Tipps“?

Ich würde mich sehr über ein paar Anregungen freuen! 

 

 

4 Gedanken zu „HSP – ich oute mich mal…

  1. Friede sagt:

    Hey Jessi,
    toller Artikel! Besonders die Beschreibung deines Alltags. Ich bin auch HSP und blogge seit kurzem darüber. Ich sehe Hochsensibilität aber durchaus auch als etwas Tolles, weil man eben auch sehr viel mehr schönes wahrnimmt. 😉

    Alles liebe, Friede

    • Stil Helferin sagt:

      Hallo Friede,

      schön, dass dir mein Artikel gefällt. Natürlich hat die ganze Sache auch positive Seiten. Mir war es aber wichtig bei meiner Realität zu bleiben und da überwiegen leider oft die negativen Aspekte.

      Liebe Grüße, Jessi

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