Achtsamkeit

„Achtsamkeit“ ist ein großes Wort, was vielerlei Interpretationen zulässt. Außerdem ist es zum Trendwort in diesem Frühjahr geworden; überall hört und liest man davon. Klar, viele schreiben es dem „großen Abnehmen“ zu – schließlich möchte man im Sommer ja top aussehen und hat mittlerweile erkannt, dass Diäten, Verzicht und Sport allein nichts bringen. Achtsamkeit ist aber viel mehr, als auf sich, seinen Körper und seine Ernährung zu achten.

Im Prinzip geht es darum, wieder auf sich zu hören und intuitiver zu handeln. Unsere verkopfte Gesellschaft führt zB. dazu, dass wir lieber Doktor Google, als unsere Oma fragen, wenn wir mal erkältet sind. Es geht eben schneller und der Kopf ist bei vielen Menschen auch schneller, als das Bauchgefühl. Das haben wir gelernt. Unser Bauchgefühl löst keine Rechenaufgaben und arbeitet keinen Stapel Papier durch, weswegen es für uns ziemlich unbrauchbar geworden ist. Unser Bauchgefühl ist allein für uns und unsere emotional sehr wichtigen Mitmenschen da. Leider interessiert das da draußen keinen; noch nicht.

Vergessen wir auf uns und unseren Körper zu hören, treffen wir falsche Entscheidungen. Erstmal betreffen die uns nur selbst und führen langsam, aber sicher, in die Gesundheitsfalle. Wir schlucken Pillen, weil Doktor Google sie bei den von uns eingegebenen Symptomen empfohlen hat und die Rezensionen fremder Menschen, die genauso leistungsorientiert sind wie wir, versprechen, dass wir mit einem Fingerschnipp wieder einsatzfähig sind. Die Pillen machen nicht gesund, aber sie lassen uns so aussehen – sie manipulieren. Das läuft so gut, dass wir fortan fremden Menschen und einer Suchmaschine eher folgen, als uns selbst, unserer Oma oder unserem Hausarzt. Die drei letzteren hätten gesagt, dass wir uns einfach nur drei Tage lang mit Tee auf die Couch legen müssen und dann ist gut. Aber was sollen die Leute denken??? Ich, bei Erkältung auf der Couch und nicht mit Hilfe von irgendwelchen Mittelchen im Büro – faule Sau!

Merkt ihr was? Wir lassen uns fremd bestimmen und verlieren uns selbst aus den Augen. Wir lassen uns in Schemata pressen, obwohl wir Individuen sind.

Bei den meisten Menschen geht es dabei wirklich nur um banale Geschichten, wie zB. die angesprochene Erkältung, und irgendwann finden sie den Punkt, an dem sie wirklich mal eine Pause auf der Couch brauchen und machen diese dann auch. Einige sind jedoch so verkopft, dass sie nichts mehr merken und weit über ihre Grenzen hinausschießen. Diese Gruppe wird leider immer größer und in solchen Fällen geht es wirtschaftlich um Milliardenbeträge und persönlich um die eigene Existenz. Burnout und Depressionen wären hier die Schlagworte. Es fängt fast immer harmlos an und wird letztendlich zum Fiasko.

Hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel, präventiv, als auch kurativ. Achtsam zu sein, müssen wir jedoch erst wieder lernen und das geht leider nicht von heute auf morgen. Es ist ein langer Prozess, den wir bewusst durchleben müssen. Ganz am Anfang steht die Frage, ob wir uns überhaupt mit uns beschäftigen möchten. Auf den ersten Blick ist das eine ziemlich blöde Frage, denn schließlich muss man irgendwie mit sich leben, aber für einige Personengruppen funktioniert das mit der Achtsamkeit in diesem Sinne nicht. Dazu gehören Menschen, die schon depressiv sind oder andere psychische Störungen der Gefühls- und/oder Wahrnehmungsebene haben, sowie Menschen, die sich beruflich und privat immer nur mit anderen beschäftigen. Zweitere können nicht einfach einen Schalter umlegen und wären vielleicht auch geschockt, zu welchem Ergebnis ihre Grübeleien führen. Für diese Gruppen gibt es andere Maßnahmen.

Merke: Achtsamkeit, Achtsamkeit erlernen und Achtsamkeitsübungen sind nicht für jeden die ultimative Lösung!

Die weiterführenden Schritte sind vielfältig. Die einen wollen erst Ordnung in ihrem Kopf schaffen, während die anderen handfeste Tatsachen schaffen wollen. „Handfest“ bedeutet in dem Fall so viel wie Körpergefühl und Körperwahrnehmung. Dafür empfehlen sich leichte Sportarten im Zusammenhang mit Entspannungstechniken – Yoga ist hier oft das erste Mittel der Wahl. Die richtige Technik für sich und seinen Körper zu finden ist aber ganz individuell – nicht jeder kann etwas mit Yoga anfangen. Manch einer geht lieber spazieren, schwimmen oder tanzen.

Für mehr Ordnung im Kopf kann es schon helfen, sich einfach mal bewusst zu langweilen. Man muss nicht immer etwas machen, um etwas zu machen. Während man nur eine Minute an die Wand starrt, gibt man sich und seinem Gehirn eine Pause, in der sehr viele Dinge unbemerkt verarbeitet werden können. Das bringt Klarheit und mehr Durchblick! Sich etwas vor Augen zu führen kann auch sehr hilfreich sein; sei es durch Aufschreiben oder Aufmalen. Dazu werde ich nochmal einen gesonderten Beitrag bringen, da solche Methoden für viele gar nicht so einfach umzusetzen sind. Manchmal ist es auch gut, sich und sein Handeln objektiv zu betrachten. Dazu braucht es aber viel Vorstellungskraft. Zur Not kann man jemanden um Einschätzung bitten, zu dem man nicht so häufig Kontakt hat. Mir ging es letztens umgekehrt. Ich sah mich gezwungen, jemandem meine Einschätzung zu einer Handlungsweise mitzuteilen, weil es mich einfach nur genervt hat. Zunächst war Stille und dann fing die Person an darüber nachzudenken und Schlüsse zu ziehen. Vielleicht konnte ich mit dieser einen kurzen Aussage eine Verhaltensänderung in Gang setzen, die es der Person und ihrem Umfeld in Zukunft leichter macht.

Hat man Kopf und Körper wiedergefunden, gilt es beides zu vereinen. Hier haben sich Handarbeiten bewährt, denn man braucht seinen Kopf und seinen Körper zu relativ gleichen Anteilen. Es sollte jedenfalls eine Tätigkeit sein, die nicht über-, aber auch nicht unterfordert. Ich kümmere mich zB. um meine Pflanzen. Ich schaue mir jede einzelne in Ruhe an, gieße, dünge, stelle sie eventuell um, beschneide sie usw. Wie gesagt, alles in Ruhe und routiniert. Ruhe und Routine sind wichtig. Natürlich versucht man sich täglich Zeit für sich zu nehmen, aber manchmal geht das nicht. Eh man sich wieder aus den Augen verliert, sollte man eine feste Zeit für sich ausmachen (wenigstens einmal pro Woche), in der man für gewöhnlich nicht gestört wird. Sollte doch etwas dazwischen kommen, dann verschiebt man es eben um einen Tag; aber bitte nicht weiter. So hilft man sich langfristig, ohne das Gefühl zu haben, dass man etwas verpasst oder Zeit verschwendet.

 

 

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